500 Jahre Abteiübergabe

Katharina von Zimmern übergab das Fraumünster-Stift mitsamt Vermögen und Ländereien dem reformationsfreundlichen Zürcher Rat. Die Übergabeurkunde datiert vom 8. Dezember 1524. Die Urkunde steht exemplarisch für einen Wendepunkt in der mittelalterlichen Stadt- und der Reformationsgeschichte. Die Reformation ohne Bürgerkrieg wird möglich. Und die Kirchenreform erfährt einen entscheidenden Schub. Formal betrachtet, beendete die Schlüsselübergabe die Herrschaft der Äbtissin und Reichsfürstin Katharina von Zimmern über die Stadt Zürich. Im Jahr 2024 jährt sich die Übergabe zum 500. Mal.

Die Stiftsübergabe durch Katharina von Zimmern lässt sich als ein entscheidendes Ereignis mittelalterlicher Stadtgeschichte lesen, dessen Auswirkungen noch heute sichtbar sind.

Vorgeschichte
Kirchenpolitisch gehörte die Stadt Zürich am Vorabend der Reformation zum Bistum Konstanz. Das kirchliche Leben im Zürich des (Spät-)Mittelalters war vielfältig und im Alltag der Menschen präsent. Kirchen und Klöster prägten die Stadtentwicklung. Sie wurden von der Bevölkerung grosszügig unterstützt.

Katharina von Zimmern war in ihrer Funktion als Fraumünster-Äbtissin gewissermassen qua Amt Reichsfürstin und Stadtherrin. Das Münz- und Zollrecht fiel in ihre Zuständigkeit und die städtischen Rechtsgeschäfte beurkundete ihr Siegel. Diese Hoheitsrechte der Fraumünster-Abtei gerieten jedoch bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Bedrängnis. Der Einfluss der Bürgerschaft erstarkte, während jener der Fraumünster-Abtei tendenziell sank.

Exemplarisch für das erstarkte Bürgertum steht die Gesellschaft zur Constaffel. Hier das Zunfthaus der Constaffel, das Haus «zum Rüden». Nach der Stiftsübergabe gehörte Katharina von Zimmern als Bürgerin Zürichs der Gesellschaft zur Constaffel an. Heute verwehrt die Gesellschaft zur Constaffel (wie alle Zünfte Zürichs) Frauen die Mitgliedschaft.

Tagsatzung, Zürcher Rat, bischöfliche Kurie & Grossmünsterstift
Die Stiftübergabe von 1524 fällt mitten in das politische Spannungsfeld, das sich in Zürich während der Reformationszeit auftut. Die Stadt Zürich ist eine Akteurin in den Auseinandersetzungen um die – an Popularität gewinnenden – Predigten und Ideen Zwinglis. Die Tagsatzung, die bischöfliche Kurie und das Grossmünsterstift sind die anderen wichtigen Akteure.

Die Tagsatzung in Baden 1531. Radierung eines unbekannten Künstlers vom Ende des 17. Jahrhunderts. Tagsatzung hiessen bis 1848 die Versammlungen, an denen bevollmächtigte Boten der eidgenössischen Orte gemeinsame Geschäfte berieten.

Zürich war während der Phase eidgenössischer Grossmachtpolitik ein Mittelpunkt der alten Eidgenossenschaft. Spätestens ab dem Jahr 1523 war Zürich zunehmend isoliert. Namentlich die Vorreiterrolle des Züricher Rats im Zusammenhang mit der Reformation erklären diesen Umstand. Denn nach den Disputationen im Jahr 1523 folgt der Zürcher Rat Zwingli.

Doch die Reformation wie auch der damit einhergehende gesellschaftliche Umbruch waren brüchig. Mit seinem Vorpreschen widersetzte sich der Zürcher Rat unter anderem der Tagsatzung, die 1524 in Baden beschliessen sollte, dass die Eidgenossenschaft beim «alten Glauben» bleibt. Weitere Differenzen gab es namentlich wegen dem von Zürich geforderten Verbot des Solddienstes und des damit einhergehenden Pensionswesen. So dauerte es noch bis April 1525, bis beispielsweise die Messe abgeschafft und das evangelische Abendmahl eingeführt wurde.

Katharinas Entscheidung: Vermeidung «von Unruhe und Ungemach»
Im November 1524 entscheidet sich die Äbtissin, das Fraumünster-Stift dem Züricher Rat zu übergeben.

Warum entschied sich Katharina von Zimmern zu diesem bedeutenden Schritt? In der gewünschten Klarheit lässt sich diese Frage anhand der Quelle nicht beantworten. Zu vermuten ist, dass es Katharina von Zimmern weniger um die Reformation an sich ging – als vielmehr darum, Unruhe und Ungemach in der Stadt Zürich zu verhindern.

Auch dürften ihre Verbindungen zu Süddeutschland eine Rolle gespielt haben.

In einer Ratsnotiz vom 30. November 1524 lesen wir, dass Katharina von Zimmern ihre Entscheidung mit der Vermeidung «von Unruhe und Ungemach» für die Stadt begründet.
In der Übergabeurkunde vom 8. Dezember 1524 wird die klare Rationalität oder der solidarische Pragmatismus hinter Katharinas Entscheidung deutlicher, indem einfach vom «Lauf der Zeit» die Rede ist. Keine Belege finden sich dafür, dass sich Katharina von Zimmern der zur Reformationszeit sehr präsenten Klosterkritik angeschlossen hätte. Und Gelegenheiten dafür hätte es mehr als genug gegeben. Die Übergabeurkunde oder Äusserungen vor dem Rat wären die opportunen Gelegenheiten dafür gewesen.

Tatsächlich kam es in anderen reformationsfreundlichen Städten zu Blutvergiessen, da sich unter anderem die Klöster der Reformation widersetzten. Und auch im Umfeld von Katharina von Zimmern gab es Gegner der Reformation. Beispielsweise ihre Familie, der Bischof von Konstanz oder die restliche Eidgenossenschaft. Die Entscheidung Katharinas zur Stiftsübergabe war also mitentscheidend dafür, dass die Reformation in Zürich ohne Bürgerkrieg möglich wurde.

Kirchenreform & Stadtpolitik
Mit der Übergabe des Fraumünsterstifts an den reformationsfreundlichen Rat von Zürich gelangen beachtliche Vermögenswerte in die Hände der Stadt. Die Stiftsübergabe gab der folgenden Kirchenreform einen entscheidenden Schub. Die Kirchenreform führte zur Gründung der reformierten Staatskirche und zur endgültigen Trennung Zürichs von Rom.

Für die Stadt war der Erfolg der Reformation in der Folge nicht ausschliessliche eine Frage nach der «richtigen» Religion, sondern mit ökonomischen Interessen verknüpft. Beispielsweise finanzierte die Stadt mit den Vermögenswerten des Fraumünsterstifts den Aufbau einer sozialen Fürsorge. Die soziale Wohlfahrt ist fortan vor allem eine Aufgabe des Staats und nicht mehr eine Aufgabe der Kirche. Der Historiker Campi (2017, S. 88) fasst zusammen: «Eine Küche zur Armenspeisung, der ‘Mushafen,’ wurde gestiftet, Bedürftige, kinderreiche Familien und Betagte erhielten Unterstützung und Kinder mittelloser Eltern konnten kostenlos den Schulunterreicht besuchen.

Eine Armenverwaltung wurde aufgebaut. Gleichzeitig entwickelten die Behörden arbeitliche Zwangsmassnahmen für sogenannte Müssiggänger».

Ein Mushafen ist ein «Breitopf». Im Bild der «Mushafen» als ein Detail des Zwingliportals am Grossmünster Zürich.

Nach der Stiftsübergabe beschloss der Rat von Zürich am 5. Dezember 1524, alle Klöster in der Stadt und auf dem Land aufzuheben. Die Vermögen der Klöster wurden in Staatsbesitz überführt. Katharinas Entscheidung macht die Stadtherrin und Äbtissin zur Wegbereiterin.

Die weitere Reformationsgeschichte berichtet vom
Aufbau der neuen Staatskirche. Ein Prozess, der nicht ohne Kritik über die Bühne ging. Dabei war die Kritik mannigfaltig motiviert: politisch, wirtschaftlich, theologisch oder sozial. Schliesslich gelang der gesellschaftliche Transformationsprozess wie auch der Aufbau der neuen Staatskirche – wenn auch nicht frei von Schattenseiten. Namentlich ist der Umgang mit der Täuferbewegung zu nennen. Noch im Jahr 1952 weigerte sich der Stadtrat, der ertränkten Täufer zu gedenken. Erst im Jahr 2004 änderte sich das. Im Beisein von Stadtrat Neukomm und Kirchenratspräident Ruedi Reich wurde die Gedenktafel an der an der Ufermauer bei der Schipfe (gegenüber Haus Nr. 43) eingeweiht.

Erinnerung an eine Bürgerin von Zürich
Dem Rat von Zürich war die historische Dimension der Stiftsübergabe bewusst. Nur so lässt sich erklären, dass Katharina von Zimmern für sich selbst eine lebenslange Rente aushandeln konnte. Nach der Stiftsübergabe lebte Katharina von Zimmern als Bürgerin von Zürich ein unbevogtetes und freies Leben.

Zuletzt lebte Katharina von Zimmern von 1540-1447 am Neumarkt 13 in Zürich, Aufnahme aus dem Jahr 2008.
In Zusammenhang mit einem ökumenischen Kirchenprojekt wurde Katharina von Zimmern in den 1980er-Jahren erneut entdeckt und danach breit gewürdigt. Seit 2004 erinnert das vom «Verein Katharina von Zimmern» initiierte Denkmal der Künstlerin Annemarie Bauer im ehemaligen Kreuzgang der Fraumünsterabtei an Katharina von Zimmern.

Geschichte wird nicht durch die (vermeintlich) grossen Taten (vermeintlich) grosser Persönlichkeiten gemacht. Das gilt nicht nur, jedoch insbesondere für gesellschaftliche Transformationsprozesse wie die Reformation im Spätmittelalter. Und doch war die Stiftsübergabe durch ein prägendes Ereignis mittelalterlicher Stadtgeschichte, das der Kirchenreform entscheidenden Schub verlieh. Auch im heutigen Zürich ist die Entscheidung Katharinas präsent und ihre Verdienste sind anerkannt. Das Denkmal im Stadthaus-Kreuzgang zeugt davon.

Weiterlesen?
Zur weiteren Lektüre werden die hier aufgelisteten Publikationen empfohlen. Dieser Text basiert ebenfalls auf diesen Publikationen sowie ergänzend:

Campi, E. (2017). «Die Reformation in Zürich». In: Burnett, A. M. & Campi E., Die schweizerische Reformation. Ein Handbuch, S. 71-134. Zürich: Theologischer Verlag Zürich.

Christ-von Wedel, C. (2000). «Katharina von Zimmern Eine Frauengestalt in neuer Sicht», Rosa: die Zeitschrift für Geschlechterforschung, 20, S. 48-50.

Christ-von Wedel, C. (2019). Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Zürich: Theologischer Verlag Zürich.

Stucki, H. (1996). «Das 16. Jahrhundert». In: Flüeler, N. & Marianne Flüeler-Grauwiler, Geschichte des Kantons Zürich, Band 2/3, S. 172-245. Zürich: Werd Verlag.